Ein Leser schreibt: „Ich habe versucht, mir ein Ziel zu setzen, mich selbst kennenzulernen. Aber es ist so, als würde es das, was ich suche, gar nicht geben. Unzählige Versuche, mich glücklich zu machen oder Spaß am Leben zu haben, funktionieren nicht.“ Und er hat recht: Was er sucht, gibt es gar nicht; dieses eine Ziel, das uns einen Sinn im Leben gibt. Aber ist das eine schlechte Nachricht?

Wer das Ziel nicht findet, ist vielleicht schon da

Ein Ziel hat man, oder man hat es nicht. Wenn ich in einem Haus mit Garten leben möchte, kann ich mir überlegen, wie ich dorthin komme. Wenn ich schließlich ankomme, habe ich das Ziel erreicht, kann zufrieden sein. Oder?

Nein, nicht in unserer Welt. Wir sitzen in unserem Haus und fragen uns: Was jetzt? Mehr, es muss mehr werden!

Wenn sich dann also keine Zufriedenheit einstellt, ging es nicht um das Ziel. Es ging darum, mich selbst in der Zukunft zu finden. Es ging darum, Energie aus Vorfreude und Hoffnung, aus einem Bild zu schöpfen. Eine Vision von mir, das Ziel erreichend, glücklich, für immer: das ist die perfekte Illusion. Was kommt danach? Und er lebte glücklich bis an sein Lebensende, verspricht uns der Film im Kopf. Aber das Leben ist kein Märchen. Es ist viel besser.

Dislaimer: Ich sage nicht, dauerhaftes Glück sei eine Illusion. Wer aber seinen Antrieb aus einer Vision von Überüberübermorgen bezieht, baut sein Leben auf Annahmen und schätzt die Gegenwart nicht. Er fährt leichter gegen eine Mauer, weil er nur nach vorn schaut. Oder ihm geht der Sprit aus, weil er alles nur als Mittel zum Zweck macht (im Gegensatz zu dem, der Dinge tut, weil er sie jetzt tun will).

Manche wenden dann übrigens einen Trick an: sie setzen sich ein Ziel, das sie nie erreichen werden. Sie sind dann vielleicht ein Leben lang getrieben. Aber zufrieden?

Es gibt zwei Arten von Zielen:

  1. Praktische Ziele
  2. Lebensziele

Praktische Ziele haben viel mit dem Wort Praxis zu tun – etwas, das wir tun. Eine Firma aufbauen. Ein Buch schreiben. Einen Hund kaufen, fit werden, mit 50 in den Ruhestand gehen. Praktische Ziele helfen uns, in die richtige Richtung zu laufen. Durch Imagination, also die Vorstellung des gewünschten Ergebnisses, wird das praktische Ziel leichter erreichbar. Durch die vorweggenommene Freude über unsere Vorstellung bekommen wir Energie, das Ziel zu verfolgen.

Lebensziele sind eine Perversion, schon das Wort verrät, wie lebensfeindlich sie sind. Ein Lebensziel sagt: Ich will weg von hier. Es ist nicht okay, es muss anders werden. Bis ich das Ziel erreicht habe, kann ich mit dem Leben nicht zufrieden sein. Das Leben findet jetzt statt, nur jetzt. Wer plant, in der Zukunft zu leben, der wird jetzt wenig Blick für die Realität, das Leben haben und sich jeden Tag ein bisschen kraftloser fühlen.

Möchtest du dich kennenlernen? Dann hör auf, wegzulaufen

Wenn du dich in der Zukunft suchst, sprich: wenn du dein Lebensgefühl aus einer Vision von der Zukunft schöpfen willst, schaust du unweigerlich weg von dir. Du hältst Ausschau nach einem lohnenden Ziel, etwas, das du im Leben erreichen willst. Etwas, auf das du zurennen kannst und dich dabei freust. Aber das ist alles eine Illusion. Mein Gott, habe ich das geliebt mit Anfang 20: auf etwas zuzulaufen, wie gestört rennen, vom Gedanken an das große Morgen leben.

 Wann wirst du akzeptieren, dass das Leben nicht mehr und nicht weniger ist als das, was du jetzt erlebst, in diesem Moment?  

Wenn du noch nach einem Ziel, nach Motivation suchst, auf etwas zuzurennen, ist das okay. Der Mensch will etwas Sinnvolles tun, etwas erschaffen. Eine endgültige Antwort, dauerhafte Zufriedenheit ist dabei aber nicht zu haben.

Dich finden, statt ein Lebensziel zu suchen

Viel mehr Zufriedenheit und auch Energie für Taten ist zu haben, wenn du dich nicht mehr in der Zukunft suchst, sondern mit deiner Aufmerksamkeit dort verweilst, wo du bist. In der Gegenwart, dort, wo du jetzt bist. Wenn du nur eine Minute lang nichts tust, außer zu atmen, hier zu sein, wohin musst du dann noch? Brauchst du dann ein Ziel, um dich lebendig zu fühlen?

Nelson Mandela soll einmal zur Presse gesagt haben: „Was ich wirklich gerne tun würde, ist, mich hinzusetzen und nichts zu tun. Seit ich aus dem Gefängnis freigelassen wurde, hatte ich nicht die Gelegenheit, mich hinzusetzen und nichts zu tun.“

Mein Ziel ist, bei mir zu bleiben – Balance zwischen Zielstrebigkeit und Gegenwärtigkeit

Oft fühle ich mich heute leer, weil ich kein Lebensziel mehr habe. Aber umso öfter komme ich zu mir und lebe in der Gegenwart. Wenn auch nur für ein paar Minuten. Ich bin hier und muss nirgends hin, um vollständig zu sein.

Am Ende meiner manischen Flucht Richtung Ziel bin ich gegen eine Mauer gelaufen. Und die Mauer tut sich nun immer dann auf, wenn ich vergesse, wer und wo ich bin.

Ich bin hier.

Ja, es gibt Probleme und Wünsche in meinem Leben, die ich lösen möchte und werde.

Aber ich suche mich nicht mehr darin.

Ok, zugegeben: Oft glaube ich doch noch, endlich ankommen zu müssen, wo auch immer.

Aber dann fällt mir zum Glück immer wieder ein, dass ich schon da bin. Und wenn ich das spüre, habe ich umso mehr Energie, meine praktischen Ziele zu verfolgen. Das macht mehr Spaß, wenn es keine verzweifelte Jagd nach Erlösung mehr ist, sondern eine Abenteuer-Reise aus der Lust, etwas aufzubauen, zu erschaffen.

Mit dir sitzen, anstatt vor dir wegzulaufen

Beitrag zum Thema: Warum ich keine Ziele brauche, um erfolgreich und glücklich zu leben

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Neulich las ich auf einer Reklametafel: „Wer will nicht gern Tabak mit weniger Schadstoffen?“ Mit starrem Blick dachte ich mir zynisch: „Ist das nicht das, was wir alle wollen? Tabak mit weniger Schadstoffen.“ Unsinn! Jeder Raucher will mit dem Rauchen aufhören, so wie ich vor bald vier Jahren. Ein Raucher braucht nicht weniger Schadstoffe. Er will frei sein von dem Gestank, von der Sucht, von der Angst vor einer Krankheit, von der Einschränkung, immer rauchen zu müssen, jeden Tag. Aber er kann nicht, denkt er.

Dann raucht er Zigaretten mit weniger Schadstoffen und fragt sich, warum er nicht glücklich, warum er nicht frei ist.

Wenn du also alles hast, und trotzdem nicht glücklich bist, kann dich all das vielleicht nicht glücklich machen. Vielleicht brauchst du weniger, als du denkst. Vielleicht stehst du im übertragenen Sinne mit einer schadstoffarmen Zigarette da und wünschst dir insgeheim, ganz damit aufzuhören.

Vielleicht sagt etwas tief in dir, dass du nicht gut genug bist. Dass du dein schönes Leben nicht verdienst. Oder da ist eine verborgene Angst, alles wieder zu verlieren. Eine Angst, dass etwas Schreckliches passieren könnte. Oder du machst dir Gedanken über die Welt, die vielen Probleme darin?

Bewusst sein statt unbewusst unglücklich

Hör in jeder freien Minute in dich hinein. Was denkst du über dich, andere Menschen, Politiker, die Gesellschaft, die Natur? Jeder Gedanke hinterlässt eine Spur in dir, eine Emotion. Die meisten Gedanken bemerken wir gar nicht. Oder wir verwechseln die Tatsache mit dem Gedanken.

Ein Beispiel:

Mit fällt ein, dass ich dem Steuerberater meine Unterlagen noch nicht geschickt habe. Ich zucke zusammen und denke: Scheiße. Warum zucke ich zusammen? Nicht wegen der Tatsache, sondern wegen meiner Gedanken drumherum. Das Finanzamt wird mir eine Strafgebühr reindrücken. Ich bekomme Ärger. Ich habe es wieder mal nicht geschafft. Diese Gedanken sind das viel größere Problem. Klar, die Unterlagen müssen zum Berater. Aber mein Stress, meine Sorge, meine Unruhe kommt von den Gedanken, die sich um die Tatsache drehen.

Und meistens stimmen sie nicht, meine Gedanken, Befürchtungen. Es sind Probleme, die in der Zukunft liegen, und die meisten treten nicht ein.

Vielleicht bereust du etwas. Bist froh, jetzt alles zu haben, und früher war alles sehr schlimm? Dann trägst du vielleicht einen Hauch von Furcht mit dir herum, dass es wieder so kommen könnte. Und so ein Hauch genügt, um das Glück fernzuhalten.

Glück hat nichts mit Haben zu tun, sondern mit Sein

Aus meiner Erfahrung hängt Glück nicht davon ab, was man hat. Ich war glücklicher und zufriedener in Zeiten, wo ich nach Ein-Euro-Rezepten kochen musste, als später, wo ich jeden Abend im Restaurant essen war. Warum war ich glücklicher? Weil ich voller Zuversicht, voller Tatendrang und Kreativität war. Weil ich mich auf das freute, was kommen würde. Und es kam.

  Und als es da war, freute ich mich nicht mehr darüber, weil es normal geworden war. 

Wir verstehen unsere Erfolge, unseren Wohlstand, unsere Beziehungen, unser Selbst als Selbstverständlichkeit. Und das macht nicht glücklich. Das macht aus dem Leben einen Trott. Ein paar Fragen, die mir helfen:

  • Wofür bin ich jetzt dankbar?
  • Was habe ich heute gemacht, womit ich zufrieden sein kann?
  • Was sind die kleinen oder großen Errungenschaften dieses Tages?
  • Welches Problem beschäftigt mich und muss ich es wirklich jetzt lösen? Oder ist es viel wahrscheinlicher, dass es sich von selbst lösen wird? Wenn es an der Zeit ist, zu handeln!

Unglückliche Gefühle als Kraft nutzen

Der Unglückliche wird im schlimmsten Fall aus seinen Gefühlen heraus handeln, alles schlechtmachen. Im besten Fall lässt er sich von seinem Unglück wachrütteln, verleugnet seine Gefühle weder, noch verfällt er ihnen. Er wird bewusster und sieht hin, was Sache ist. Jetzt.

Vielleicht fehlt nichts in deinem Leben, außer mehr Bewusstsein dafür. Aus mehr Bewusstsein folgen Liebe, Tiefe.

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Was mache ich wirklich ohne Hintergedanken? Wo tu ich etwas, ohne davor schon daran zu denken, was dabei rauskommen wird?

Klar, wer einen Baum pflanzt, denkt daran, welche Früchte er tragen wird.

Aber ich denke nur noch an die Früchte.

Ich denke nicht mehr an den Baum. Ich denke an zu viele Bäume, die ich noch pflanzen muss. Ich sehe den Wald nicht mehr, dabei liebe ich ihn so sehr.

Ich liebe das Schreiben.

Ich liebe das Musikmachen.

Ich liebe das Gestalten.

Ich liebe es, Menschen zuzuhören, mein Talent zu nutzen, mich in sie einfühlen zu können.

Aber ich schreibe nur noch, um etwas zu veröffentlichen.

Ich mache keine Musik mehr.

Ich gestalte hastig und gebe so viel wie möglich davon in andere Hände. Nenne das delegieren. Fühle mich dabei wie ein toller Unternehmer, wie ein echter Typ.

Aber ich gebe das weg, was ich liebe, und will dann die Scheine zählen, und vermisse dabei etwas, und komme einfach nicht drauf, was es ist.

Ich höre Menschen nur noch zu, um etwas zu sagen, um etwas von ihnen zu bekommen.

Ich habe mich selbst vergessen, verloren. In den Zahlen. In Gedanken an Geld, an Rechnungen, an Steuerzahlungen, an phantasierte Häuser und gemietete Autos.

Ich empfinde meinen Hund als Last. Und bevor mein Sohn zur Welt kommt, will ich mich nicht mehr so fühlen; nicht mehr so denken. Weil ich ihn nicht als Last, als Aufgabe, als weiteren Punkt auf meiner To-Do-Liste sehen will.

Ich schaue nervös auf mein Smartphone, dort geht das Leben ab. Hier ist es zum Stehen gekommen. Hier ist nicht mehr viel los, außer in der Denk-Abteilung. Sie ist stets geschäftig und schiebt Nachtschichten, Überstunden, Überüberstunden.

Sehenden Auges entfremde ich mich von mir selbst. Diese Zeilen klingen katastrophal, und ich bin dankbar, dass sie zu mir kommen. Sie hören mir zu. Sie helfen mir, mich zu verstehen. Sie helfen mir, mein Leben in Frage zu stellen, damit die Antworten mich wieder dahin führen, wo ich herkomme.

Zum Genuss, ich zu sein.

Zum Erlebnis, zu lächeln, ganz ohne Grund.

Zum Gefühl, dass das Leben gut ist.

Einfach gut.

Einfach.

Gut.

Wie finde ich wieder Freude am Leben? Dazu beantworte ich mir die Frage, wie ich diese Freude verloren habe. Wie mache ich das? 

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