„Er kritisiert mich ständig“ – Wie dich Selbstliebe rettet und wie Kritik dabei hilft

Oft bestanden meine Beziehungen aus viel Kritik – Kritik an mir. Was ich tue. Kritik an meinem Aussehen. An dem, was ich sage. Das fing an mit meinem Vater, ging über meine Schwiegereltern und endete in meinen letzten Partnerschaften. Aber auch Nachbarn, Leute im Supermarkt – Freunde wie Fremde – sie streuen Salz in diese Wunden – Verletzungen aus zu viel Kritik an mir. Was kann ich tun, um mich nicht mehr herabgesetzt zu fühlen?

Mir hilft, etwas aufzuräumen in meinem Gedanken. Wie ich die Situation „Er kritisiert mich“ wahrnehme, hängt von meinem Denken ab. Was ich denke bestimmt, was ich fühle.

Ein Beispiel:

Mein Nachbar schnauzt mich nachts aus dem Fenster heraus an, nachdem mein Hund Goofy verzweifelt sein Geschäft im Gebüsch verrichtet hat – der arme hat Durchfall. Nachbar: „Hey, machst Du das nicht weg!?“ – In mir tobt ein Sturm. Dieser Mann, der bis nachts um vier den Parkplatz vor unserem Haus im Auge hat, ihm möchte ich am liebsten Goofys Geschäft ins Fenster werfen und hinterherrufen: Lass mich endlich in Ruhe!

Stattdessen antworte ich ihm mit dem finstersten Ton, den ich rausbringe: „Der hat Durchfall“. Den selbst ernannten Parkplatz-Sheriff so an seinem Fenster stehen zu lassen, macht mich ein bisschen zufrieden. Aber der Ärger bleibt.

Nach jeder Standpauke wegen meines Hundes schwelt mein Zorn auf ihn stärker, wächst mein Hass. Ich fühle mich in meine Kindheit zurückversetzt, als mein Vater mich mit Arbeitsanweisungen am Morgen begrüßte. Statt „guten Morgen“ hörte ich mir an, wie ich den Kühlschrank zu benutzen hätte. Ich steckte Kritik ein anstelle ein paar netter Worte. Immernoch bin ich frustriert, tobt in mir der Teenager, der sich herabgesetzt fühlt. Diese Frustration sorgt auch dafür, dass ich in Beziehungen mit Gegenwehr und Sturheit reagiere, verletzt bin und allein sein will, wenn mich meine Partnerin korrigiert.

Sie mag es vielleicht nicht als Korrektur meinen, sondern…

  • Als einfache Bitte: „Saug den Boden!“
  • Als Vorliebe: „Nimm ein bisschen ab!“
  • Als Bedürfnis: „Habe mehr Sex mit mir!“

Aber ich empfinde es als Beleidigung, als Bedrohnung meiner Person.

Und auch meinen Nachbar kann ich anders verstehen, wenn ich anders denke.

Wenn ich mich nicht von vornherein schuldig fühle und denke, dass ich eh ständig alles falsch mache (danke, Papa, dass ich durch dich lernen darf, dass das nicht so ist), verstehe ich vielleicht aus seiner jüngsten Attacke auf mich: einen Wunsch nach Kontrolle: „Wenn ein Hund hier hinscheißt, sollen die Leute es wegmachen“.

Ich sehe aber nur die Kritik an mir. Ich nehme es persönlich. Ich hasse meine Mitmenschen dafür. Denn ich fühle mich von ihnen gehasst und reagiere mit Wut. Mit Verletztheit, Schmerz, Enttäuschung.

Kritik: Wer ist hier mit wem unzufrieden?

Ich sehe nicht, dass die vermeintliche Kritik meiner Mitmenschen weniger mit mir zu tun hat, mehr mit ihnen. Ich sehe auch nicht, dass ich mich wegen meiner eigenen Urteile minderwertig fühle – ihre vermeintliche Kritik löst das nur aus.

Bis ich mich hinsetze und noch einmal darüber nachdenke. „Ich will, dass er mich in Ruhe lässt“ – kann ich sicher wissen, dass das wahr ist? Wäre sein Ausruf „Hey, machst Du das nicht weg!?“ für mich genauso schlimm, wenn ich völlig ausgeglichen und mit mir im Reinen bin? Würde ich es überhaupt als Kritik empfinden?

Ohne den trotzigen Wunsch „Er soll mich in Ruhe lassen“ könnte ich ihn mit viel mehr Klarheit hören, ihm mit Klarheit antworten: „Der hat Durchfall, das kann ich nicht wegmachen, ohne die Büsche zu roden“. Ich könnte es vielleicht sogar witzig finden, diese absurde Situation um vier Uhr Nachts.

Ich würde mich nicht schuldig und herabgesetzt fühlen, sondern ihn verstehen; oder zumindest versuchen, ihn zu verstehen. Wie meine Verflossenen, die gerne nicht im Dreck leben wollte. Wie die Schwiegereltern meiner ersten Freundin, die sich Sorgen um ihre Tochter machten. Ihre vermeintliche Ablehnung kam eher aus Angst um ihre Tochter und weniger aus Hass auf mich.

Video zum Thema: Andere urteilen über mich – wie zeige ich meine Liebe?

Muss ich perfekt sein, um mich zu lieben?

Wenn ich lerne, die Kritik anderer als ihre Sache zu verstehen, und dass mein erbärmliches Gefühl dabei nichts mit ihnen, sondern etwas mit mir zu tun hat, kann ich mit Kritik anders umgehen. Ich kann heilen! Und dann in Ruhe nachdenken, wie ich mit ihnen umgehen möchte – ob ich ihre Belehrungen, Hinweise, kritischen Fragen beherzigen will, oder zu verstehen gebe, dass diese Punkte indiskutabel sind. Ob ich mich trenne. Ich kann mich fragen, ob ich die Kritik verstehe und teile, oder ob ich es genau so weitermachen will wie bisher. Ohne verletzt zu sein. Die Kritik anderer macht mich aufmerksam; jede Verletzung kann mir zeigen, wie ich mit mir umgehe. Was ich über mich denke und was ich mir selbst zutraue.

Übung für jeden Tag
Nimm Dir zwischendurch ein paar Minuten und stelle dir vor, dein Lieblingsmensch (oder Lieblingsfeind, Chef, Partner, Mutter, Vater, Geschwister, beste Freundin) beobachtet dich bei allem, was du tust. Du sitzt auf dem Sofa und schaust fern – was denkt er über dich? Du machst deine Arbeit, den Haushalt, deinen Alltag, gehst mit dem Hund spazieren, lebst dein Leben – und er beobachtet dich. Wie verhältst du dich? Was willst du verstecken, beweisen, wie willst du auf ihn wirken? Was soll er oder sie von dir denken? Schreibe auf, was du beobchtest. Beobachte, wie du dich verhältst, wie du Dinge anders oder gar nicht machst in seiner Gegenwart.

Schreibe dann eine Liste, was er über dich denkt und was er denken sollte, was er nicht denken sollte. Was er sagen oder nicht sagen sollte. Schreib vor allem die Dinge auf, die sich besonders verletzend oder schwer anfühlen. Stelle dir dann bei jedem Punkt die Frage: Was davon gebe ich mir selbst nicht? Was davon denke ich selbst über mich? Will ich das weiter denken? Will ich das ändern?

Du kannst auch weitergehen und dir die Fragen aus meiner Lieblingsmeditation „The Work“ stellen: Stimmt das, ist das wahr? Kann ich absolut sicher wissen, dass das wahr ist? Wie reagiere ich, wenn ich das über ihn oder mich glaube? Wer wäre ich in dieser Situation ohne den Gedanken?
 

2 Kommentare
  1. Nadine
    Nadine sagte:

    Vielen Dank für deinen Artikel und vor allem für die Übung, die mich gerade echt weitergebracht hat!! 🙂

    Und ich lasse liebe aus dem Norden da!
    Nadine

    Antworten

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