Meine Schwiegermutter hasst mich – ist das wahr?

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Mit 17 wurde ich Vater und meine wundervolle Tochter kam zur Welt. Vorausgegangen war eine sehr schwere Zeit mit ihrer Mutter und ihrer Familie. Wir kannten uns seit unserer Kindheit. Als wir ein Paar wurden, gefiel das ihren Eltern überhaupt nicht, obwohl sie für mich ein bisschen wie meine zweiten Eltern waren. Und als meine Freundin schwanger wurde, dachte ich, vor Angst zu sterben. Vor allem meine Schwiegermutter machte mir – so dachte ich – das Leben schwer. Heute kann ich sehen, dass ich so unschuldig nicht war, wie ich damals dachte – und dass sie nicht das Monster war, für das ich sie hielt. Sie war eine Mutter, die das Beste für ihre Tochter wollte. Und wie kann ich ihr das vorwerfen? Hier kommt, was ich in einer sehr wichtigen Reflexion über meine damalige Schwiegermutter in spe gelernt habe.

Meine verzweifelte Suche nach Liebe – endlich geht sie zuende

Mit das Schlimmste waren für mich ihre Blicke – ich zuckte oft zusammen, wenn sie mich wütend, verbittert, zornig ansah. Was hatte ich nun wieder falsch gemacht? Und auch heute halte ich noch immer Ausschau nach Leuten, die mich nicht ganz so freundlich ansehen, wie ich das gerne hätte. Was denkt der? Was hat sie gegen mich? Warum sind Menschen so? Warum hassen sie mich?

„Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist“

Meine Ex-Schwiegermutter in spe durchbohrte mich mit ihrem Blick. Eine ganz bestimmte Situation kommt mir immer wieder ins Gedächtnis: Meine Tochter war ungefähr ein Jahr alt und ich war zu Besuch bei ihr, ihrer Mutter und ihren Großeltern. Wir saßen draußen auf einer Bank und ich sagte meiner Schwiegermutter, dass ich meine Tochter liebe und für sie da sein will – sie sah mich an und antwortete nur: Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist.

Die Beziehung hielt nicht mehr lang, wohl aber die Verbindung zu meiner Tochter. Seitdem sind 15 Jahre vergangen und ich musste sicher viele Tausend mal an diesen Satz denken. Weiß ich wirklich nicht, was Liebe ist?

Ist das wirklich Hass in ihren Augen?

Was sich aber besonders eingebrannt hat, ist dieser böse Blick. Er verfolgt mich. Und zwar auch in Gestalt anderer Menschen und besonders Frauen, die in mein Leben treten. Warum ernte ich diese Blicke immer wieder? Und warum kann ich so schlecht damit umgehen? Was durchbohrt mich da wirklich? Ich hatte also bei meinem täglichen Reflexionsfrühstück (ich esse ein paar Wurst- und Marmeladenbrote und dann meditiere ich) spontan die Idee, dieses Thema einmal mit der Meditation „The Work“ zu bearbeiten.

Das habe ich über den vermeintlich hasserfüllten Blick meiner Ex-Schwiegermutter gelernt:

Sie schaut mich böse an

Ist das wahr?

Ja

Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?

Nein

Wie reagierst du, was passiert, wenn du diesen Gedanken glaubst?

Ich fühle mich bedroht, weiß nicht, wie ich reagieren soll, bin eingeschüchtert. Denke, ich habe etwas falsch gemacht, fühle mich schuldig, ich behandle sie wie ein Monster, denke, sie ist ein schlechter Mensch. Ich fühle mich ungerecht behandelt, ich kann nicht merken, was in mir vor geht, sondern konzentriere mich nur auf sie. Ich versuche, irgendetwas zu sagen, dass sie besänftigt, fühle mich getroffen und bedrängt, eingeengt. Ich habe Angst, dass sie mir was tut.

Wer wärst du ohne den Gedanken „Sie schaut mich böse an“, in dieser Situation, während du da sitzt und sie dich ansieht?

Ich wäre mitfühlender und verständnisvoller. Ich würde sehen, dass sie mir mit ihrem Blick sagt, was in ihr vorgeht und wie sie sich fühlt. Ich wäre offener für sie, liebevoller und sanfter. Ich könnte sie fragen, was sie so wütend macht und worum es ihr geht. Ich würde sehen, dass ich sie mag, tief in mir drin. Ich würde sehen, dass sie leidet, würde ihren Zorn nicht auf mich beziehen und nicht zu meinem Problem machen. Ich würee mich unschuldig fühlen, frei und unbeschwert.

Umkehrung des Gedankens „Sie schaut mich böse an“

Zu mir:

Ich schaue mich böse an

  • Erstens: Ich schaue, was ich falsch gemacht haben könnte
  • Zweitens: Ich denke, „mit mir stimmt etwas nicht“ und dass ihre Wut doch einen Grund haben muss, einen Grund, der mit mir zu tun hat. Dass ich schuld bin.
  • Drittes Beispiel: Ich ignoriere mich und beschäftige mich mit ihr, bin mir selbst dabei völlig egal. Ihre Meinung von mir ist mir wichtiger, als meine eigene Meinung von mir.

Zum anderen:

Ich schaue sie böse an

  • Ja, ich denke, dass sie sich unmöglich benimmt und ein schlechter Mensch ist, dass sie sich nicht in mein Leben einmischen sollte. Ich sehe da aber nicht, dass ich mich in ihr Leben einmische, dass ich einfach Platz einnehme und mich nie gefragt habe, wie es ihr dabei geht, dass ich ihr zukünftiger Schwiegersohn bin und jetzt Vater ihrer Enkelin. Ich akzeptiere sie nicht!
  • Vielleicht gucke ich genauso grimmig, ohne es zu merken
  • Ich halte sie und ihren Blick für das Letzte, unmöglich

Ins Gegenteil:

Sie schaut mich lieb an

  • Sie möchte vielleicht etwas von mir und kann nicht anders schauen
  • Vielleicht hilft mir ihr Blick, etwas Wichtiges zu verstehen
  • Vielleicht mag sie mich insgeheim auch, so wie ich sie, aber bei all dem Zorn und der Angst kann sie das nicht zeigen, so wie ich auch!

Und ins Gegenteil mit „nicht“:

Sie schaut mich nicht böse an

  • Vielleicht ist sie wegen etwas ganz anderem so aufgebracht, verbindet mich aber damit
  • Vielleicht interpretiere ich ihren Blick als viel böser, weil ich mich angegriffen sehe und sie als meinen Gegner sehe
  • Sie schaut genau genommen ihre Gedanken über mich an, sie sieht das, woran sie fast glaubt
  • Vielleicht ist sie auf ihre Tochter viel mehr sauer als auf mich

Ein befreiender Brief an meine Schwiegermutter

Nach dieser Meditation kam in mir das Verlangen hoch, ihr einen Brief (na gut, es war eine E-Mail) zu schreiben und ihr zu sagen, was ich denke. Wir haben seit all dem – der Beziehung, der Geburt meiner Tochter, der Trennung ein Jahr später – nie wieder darüber geredet und höchstens ein paar Worte gewechselt, wenn wir uns zufällig gesehen haben. Obwohl das alles nun 15 Jahre her ist, fühlt es sich an, als wäre es erst vor ein paar Wochen passiert. Die Wunden schließen sich jetzt langsam, glaube ich.

Ich habe die letzten Jahre fast immer mit Verachtung und Schaudern an meine Ex-Schwiegermutter gedacht. Und ich glaube, dieser Schatten hat mein Leben der letzten Jahre immer ein wenig verdunkelt. Ich kann nicht unbeschwert durchs Leben gehen, wenn da irgendwo, im hintersten Eck meiner Gedanken immer diese düstere Person steht, die mich hasst und vor der ich mich in Acht nehmen muss. Deswegen schreibe ich regelmäßig über sie. Diese einfache Situation, in der sie mich so „böse“ ansieht, war nun ein Schlüssel zu mehr Einblick.

Ich sehe sie mit anderen Augen. Ich sehe die liebevolle Mutter in ihr, die ihre Familie mit Händen und Füßen verteidigen will und in mir einen Feind ausgemacht hat. Ich sehe, dass ich ihr das nicht vorwerfen kann. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich nach allem, was zwischen ihr und mir passiert ist, einmal mild und wohlwollend und verständnisvoll über sie nachdenken kann. Nun ist es so weit. Hier kommt, was ich ihr geschrieben habe:

Liebe …,

ich hoffe, es geht Dir gut.

Ich schreibe Dir, weil ich mir einige Sachen klar gemacht habe und mir viel daran liegt, Frieden mit Dir zu schließen. Du warst für mich oft wie eine zweite (etwas strengere) Mutter, und zum Schluss habe ich mir nur noch Deine Anerkennung gewünscht. Du hast mir einmal gesagt, ich solle wiederkommen, wenn ich „was bin“ – aber ich habe dann gemerkt, dass ich mir selbst wichtiger bin als Dir etwas zu beweisen. 

Ich war all die Jahre böse auf Dich, habe Dir Vorwürfe gemacht, dass Du … und meine Beziehung unmöglich gemacht und mich gehasst hast. Ich kann jetzt sehen, dass Du es ganz sicher nur gut gemeint hast. Und unsere Beziehung ist sicher nicht wegen Dir gescheitert. 

Ich war plötzlich „da“, als künftiger Schwiegersohn, dann als Vater Deiner Enkelin, und als ich gesagt habe, dass ich meine Tochter liebe und mich um sie kümmern will, habe ich das ernst gemeint. Aber ich habe mich nie gefragt, wie es Dir damit geht, dass ich plötzlich Platz eingenommen habe bei Euch zuhause. Und ich habe mich nie gefragt, ob diese Beziehung mit … wirklich eine Zukunft haben kann. Dass wir so jung Eltern wurden, hat als Basis nicht gereicht, auch wenn … sich das vielleicht gewünscht hat. Ich wusste schon damals, dass ich Journalist werden will und kein Landwirt. Vielleicht war es ja gar nicht das, was Du in mir gesehen hast. Aber Dein Gefühl muss Dir gesagt haben, dass Gidon hier nicht her passt. Habe ich Recht? Ich muss sagen, das war auch so.

Ich glaube, Du hast damals gesehen, dass ich nicht „der Richtige“ für Deine Tochter bin, und so war es dann auch. Das haben … und ich selbst nicht gesehen und wir haben uns etwas vorgemacht. Ich habe nur gesehen, was ich will und dass Du blöd bist. Habe keine Sekunde daran gedacht, was in Dir vorgeht, wie es Dir geht, und ich habe auch nicht daran gedacht, Dich nur einmal zu fragen, warum Du Dich mir gegenüber so ablehnend verhältst. 

Vielleicht hätten wir eine Basis gefunden. Aber jetzt ist es, wie es ist. Ich möchte Dir sagen, dass ich keinen Groll mehr gegen Dich hege und dass ich Dich tief drin immer noch so mag, wie als ich selbst noch ein Kind war und auf Eurem Hof gespielt habe, geritten bin und im Stall mitgearbeitet habe. Danke für diese Zeit.

Alles Liebe und bis bald,

Gidon

Warum hasst mich meine Schwiegermutter?

Sie hasst nicht mich, sondern ihr Bild, das sie von mir hat

Wenn ich denke, dass mich jemand hasst, bemühe ich mich nicht genug, ihn oder sie zu verstehen. Ich tue so, als würde der andere mich grundlos ablehnen, einfach, weil sie so eine fiese Tante, ein unfairer, ekelhafter Giftzahn ist. Ich beziehe jede Regung, jedes Wort, jeden bösen Blick auf mich und sehe nicht, was meine böse schauende Schwiegermutter, der brüllende Fußgänger auf der Straße, der mobbende Kollege über sich aussagt mit seinem Verhalten.

Ich muss das nicht gut finden. Aber es hilft, zu sehen, dass der andere nicht aus seiner Haut kann. Ich werde meine eigene Haut vor seinen Angriffen schützen – aber sein Hass hat viel mehr mit ihm zu tun. Mit ihrem Bild, das sie von mir hat – nicht mit mir.

Und das tut gut zu wissen, oder? Wenn ich das sehe, dann habe ich Mitgefühl. Das ist Liebe. Auch für mich.

Kannst du das für dich auch sehen?

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