Sie hasst mich ohne Grund – was tun? Den Hass verstehen und durchschauen

Sabine war mal meine Schwiegermutter. Ihre Tochter Lea und ich bekamen ein Kind, da war ich 17. Das machte alles noch schlimmer. Jahrelang davor hatte Sabine schon versucht, die Beziehung mit meiner großen Jugendliebe zu verhindern, zu verbieten, zu beenden. Ich schien ihr Erzfeind zu sein – ihr größter Hass, ihr Dorn im Auge. Heute kann das mit mehr Gelassenheit sehen: Viel schlimmer als ihre Abneigung war meine eigene Unzufriedenheit mit mir selbst. So verwandle ich das Gefühl, gehasst zu werden in Frieden.

Für Sabine schien es ein bitterer Kampf zu sein, sie schien Angst zu haben, ihre Tochter an mich zu verlieren. „Du kannst sie haben!“, schrie sie eines Abends ins Telefon meiner Eltern, hatte Lea vor die Tür gesetzt. Sie wohnten zwei Stunden entfernt von uns und ich versuchte als 16-jähriger, die Wogen zu glätten. „Du kannst sie haben!“, schrie sie immer wieder.

Ich hatte sie doch schon! Wir liebten uns. Naja, was auch immer Sabine da meinte: Ich war mir sicher, dass sie mich bis aufs Blut hasste. Wenn ich bei ihnen zu Besuch war, spürte ich ihre bösen Blicke im Nacken, und als ich meine Tochter im Kinderwagen über ihren Hof schob, hatte ich Angst, etwas falsch gemacht zu haben. Das Kind falsch angezogen zu haben, den Kinderwagen falsch zu schieben. Ich war der jüngste, dümmste, erbärmlichste Vater der Welt – so fühlte ich mich. In den Augen dieser Frau konnte ich nichts richtig machen.

Den Hass zu durchschauen ist der erste Schritt, mich selbst zu lieben

Sie hasst mich bis heute, sagt die Stimme in meinem Kopf. Nur heute sehe ich anders auf damals. Damals sah ich nur mich, und dass mit mir etwas nicht stimmen konnte, bei all dem Hass, den sie mit ihren Schreianfällen und bösen Blicken auf mir ablud. Ich erschreckte vor der Verachtung in ihren Augen, als ich ihr sagte, ich wolle bleiben, ich wolle mich um meine Tochter kümmern, weil ich sie liebe. Ich resignierte wegen der Verbitterung in ihren Augen, als sie antwortete: „Du weißt doch gar nicht, was liebe ist.“

Ich habe lang unter dieser Zeit gelitten. Heute kann ich es langsam anders sehen. Was weiß ich, was in ihr vorging? Was weiß ich, was sie in mir sah? Sah sie einen rücksichtslosen, unreifen, rauchenden und trinkenden jugendlichen, der den Lebensweg ihrer Tochter zerstören würde? Oder sah sie dieses Engelchen in mir, diesen milden Knaben, den ich selbst in mir sah, der doch nichts böses getan hatte. Kann sein, dass sie mich für den Teufel hielt. Und ich sah mich als ungerecht behandelt, als jemand, dem Unrecht und Grausames geschah.

Verwirrung und Angst treiben uns zum Hass – das zu sehen, kann uns vergeben lassen

Vielleicht sahen wir beide nicht den in mir, der ich wirklich war. Vielleicht hatte ich mit meiner Engelchen-Theorie doch nicht so Recht, und sie wollte einfach nur ihre Tochter beschützen. Wer weiß, warum sie knapp fünf Jahre versuchte, mich fernzuhalten. Kann ich sicher wissen, dass es ihr Hass auf mich war? Wer weiß, vielleicht war sie einfach davon überzeugt, dass ich ihrer Tochter nicht gut tun würde.

Wer will das einer Mutter verübeln? Wer will ihr verübeln, dass sie ihr Kind schützen will?

Was du selbst nicht an dir liebst, hassen auch die anderen (und wenn auch nur in deinem Kopf)

Ich sah auf jeden Fall nur diese eine Ecke der Geschichte: Ihren Hass auf mich. Warum mochte sie mich gleich nochmal nicht? Ich dachte, sie hasst mich zum Beispiel dafür…:

  • dass ich nicht perfekt bin
  • dass ich nicht gut in der Schule bin (ein Versager, aus dem nichts wird)
  • dass ich einfach kein guter Mensch bin und nicht gut genug für Lea
  • dass ich schlampig angezogen bin
  • dass ich nicht geschickt genug bin (für ihren Landwirtschaftsbetrieb, wo ich regelmäßig mithalf)

Und, welche Überraschung, diese kleine Liste steht auch auf meinem eigenen Zettel „Was ich nicht an mir mag“:

  • Ich hielt mich selbst damals für alles andere als perfekt
  • Ich hatte aufgegeben, es in der Schule zu etwas zu bringen und empfand das als Versagen
  • Ich dachte die meiste Zeit kritisch über mich nach und war unzufrieden mit meiner Geschichte
  • Ich zog mich absichtlich anders an, um zu einer Gruppe von anderen Menschen dazuzugehören (man nannte sie damals Punks)
  • Und für meine Ungeschicktheit hätte ich mir am liebsten selbst in die Nase gebissen – Staubsaugen ohne Kerben im Esstisch gibts bei mir nicht und ich bleibe an jeder Türklinke hängen, die ich finde.

Die Unzufriedenheit anderer ist so schlimm für uns, weil wir denken, wir müssten ihnen gefallen

Ich habe mit Sabine bis heute nicht darüber gesprochen, was genau sie so furchtbar an mir fand. Vielleicht war es ganz anders und sie hatte gegen mich persönlich gar nichts. Wenn ich mit irgendwem auf der Straße und nicht mit ihrer Tochter zusammen gewesen wäre, hätte sie vielleicht gerne Plätzchen für mich gebacken und mit mir über meine coolen Rasterzöpfe gequatscht.

 Aber ist es wirklich wichtig, was in ihr vorging? Viel schlimmer für mich ist und war, dass ich mich so elend fühlte. Und das war so, weil ich genau das über mich dachte, was ich ihr vorwarf und von ihr befürchtete. 

Also hinterfrage ich meine Gedanken – das, was ich über Sabine in dieser Situation gedacht habe

Ich befrage mich selbst: Warum mag sie mich nicht? Zum Beispiel:

Weil ich nicht gut in der Schule bin. Nun war sie aber doch gar nicht meine Lehrerin und musste sich nicht durch meine Deutsch-Schulaufgaben quälen. Was genau gefiel ihr (meiner Meinung nach) nicht an meiner Schullaufbahn? Was heißt das, dass ich nicht gut genug in der Schule bin?

Es heißt, dass ich es nie zu etwas bringen werde. Dass ich nicht gut genug bin.

Ich bin nicht gut genug – dieser Gedanke ist ein alter Vertrauter. Ich spüre, dass er tief in mir noch immer sein Unwesen treibt, auch wenn ich schon viel zufriedener mit mir bin als früher.

Gedanken-Experiment zum Mitmachen

Wenn Du diesen Gedanken kennst, schau mal nach, wann du diesen Gedanken zuletzt hattest. Erinnere dich. Frag dich jetzt: Ist das wahr, dass ich nicht gut genug bin? Kann ich absolut sicher wissen, dass das war ist?

Ich kann das nicht. Ich weiß nicht mal, was dieses „gut“ sein soll. Für wen soll ich das noch mal sein? Was hätte ich davon?

Aber wenn ich glaube, dass ich nicht gut genug bin, dann fühle ich mich klein. Ich fühle mich unwichtig. Ich sitze vor Sabine und kann ihr nichts entgegensetzen, wenn sie sagt, dass ich erst zu meiner jungen Familie wiederkommen soll, wenn ich „etwas bin“. Wenn ich glaube, dass ich nicht gut genug bin, dann hasse ich mein Leben.

Und wer wäre ich in dieser Situation, wo sie mich rauswirft, ohne den Gedanken „Ich bin nicht gut genug“? Ich hätte Achtung vor mir selbst. Ich müsste Sabine nichts beweisen. Ich stünde mit beiden Beinen auf dem Boden ihres Wohnzimmers. Sicher. Ich würde mich nicht weiter zwingen, in diesem Haus, auf diesem Hof zu wandeln und mich zu bewähren. Ich könnte gehen, ohne mich schlecht zu fühlen.

Wir spüren nie den Hass des anderen, sondern nur unseren eigenen

 Und ich wäre mit mir selbst im Reinen, würde mich nicht dafür schämen, wie ich bin. Ich würde akzeptieren, dass sie mit mir nicht einverstanden ist. Und ich würde mich nicht mehr gehasst fühlen, ich wäre gerne ICH. Ich müsste ihr nicht mehr gefallen. Ich würde mir keine Gedanken darüber machen, ob sie mich hasst. Ich würde mich wohl fühlen in meiner Haut. Ich würde sehen, was ich bin, kann und will und würde mir das selbst  erlauben, ich wäre frei, weil ich mich freimachen würde von meinem Verlangen, ihr zu gefallen.  

Das zu sehen, ist befreiend. Und ich kann jetzt, während ich das hier schreibe, die Situation damals mit anderen Augen sehen. Ich kann sie neu bewerten, ich sehe: hier bin ich. Dort ist sie. Und ich kann sehen, dass ihr Zorn wenig mit mir zu tun hat. Ich finde mich richtig toll! Wie soll man so einen tollen Menschen hassen? Es muss etwas mit dem zu tun haben, was sie über mich glaubt.

 Und wer weiß, ob sie mich wirklich hasst! Vielleicht war alles nur eine große Show, weil sie, ganz sachlich, dachte, dass ich nicht der Richtige bin für ihre Tochter. Wer weiß, vielleicht war null Hass im Spiel. Ich kann es einfach nicht sicher wissen. 

Was in ihr vorgeht? Keine Ahnung. Ich muss es nicht wissen. Ich höre noch ihre Worte, ich sehe ihr Gesicht, und ohne den Gedanken, dass ich nicht gut genug bin, fühle ich mich unschuldig. Ich habe ein wohliges Gefühl im Bauch, während ich mir die Situation vorstelle, ohne diesen Gedanken. Und ich habe mehr Verständnis. Ich werde psychisch nicht zerstört von ihrer Ablehnung. Und zugleich habe ich mehr Willen, zu kämpfen. Für ein Leben, das ich mag. Mit und ohne ihre Liebe.

Ich könnte sie ansehen und sagen: Okay, ich gehe. Und ich komme nicht wieder.

Auch, wenn ich für meine Tochter da sein will. Ich bin stolz darauf, so ein Mensch, so ein Vater zu sein.

Wir alle haben es nicht leicht. Aber wir müssen auf das hören, was uns wirklich wichtig ist. Sonst zerstören wir uns jeden Tag selbst ein bisschen.

Aufgabe: Wenn dich jemand hasst, dann finde für dich heraus, ob du seine Abneigung vielleicht teilst. Prüfe auch, was vielleicht nur dein Kopfkino ist, und wo du gar nicht sicher sein kannst, ob und was die andere Person an dir auszusetzen hat. Vielleicht ist ihr Verhalten kein Hass, sondern Angst, oder Verletzung. Aber was verletzt dich so? Was geht in dir dabei vor? Vielleicht lernst du von ihr oder ihm etwas über dich selbst, so, wie ich.

Neue und alte Wunden heilen schneller, wenn wir uns selbst nicht mehr verachten.

Foto: InsightPhotography

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