Angst vor der Angst überwinden – 1000 Gründe, mich für meine Verletzlichkeit zu lieben

Viel schlimmer als Angst und Unsicherheit ist ein Leben, in dem ich mich wegen meiner Angst schäme, verstecke. Verstelle. Das Gefühl, verletzbar zu sein als etwas Furchtbares verurteile, und damit mich selbst verurteile. Es ist nie zu spät, das Unmögliche zu tun und Ja zu sich zu sagen. Egal, was jetzt ist. Und damit zu jedem Gefühl Ja zu sagen, das gerade diesen Körper durchströmt.

Denn dieses Ja macht Schluss mit der Endlosschleife aus Angst und Scham, noch mehr Angst und noch mehr Scham.

Gidon Wagner

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Hi, ich bin Gidon – Journalist und Buchautor. Ich beschäftige mich nun seit über 10 Jahren damit, was Menschen glücklich macht.

Die Angst in mir sagt: Niemand darf wissen, wie verletzlich ich wirklich bin. Und so bleibt sie für immer da, tief versteckt in mir.

Und das macht alles noch schlimmer: Deswegen verstelle ich mich, ich reiße mich zusammen, ich verkrampfe mich, ich verstecke mich. Hauptsache, niemand merkt meine Angst. Und ich habe Angst vor der Angst, so wie andere Angst davor haben, öffentlich zu lachen.

Kein Wunder, dass der Alltag unerträglich wird: Ich sitze mit einem Kloß im Hals und zusammengepressten Backen beim Friseur und stelle mir vor, was die beiden Friseurinnen von mir denken werden – wenn ich plötzlich unruhig werde.

Ich finde Ausreden und verleugne mich: Ich werde sagen, dass ich schlechten Kreislauf habe, aber mir wird schwindlig sein wegen der Panikattacke. Ich wünschte, es gäbe hier eine Ecke zum Verkriechen.

Die Panik kommt nicht. Nicht mehr. Nicht mehr so wie früher. Stattdessen schreibe ich diesen Text. Und spüre die Angst vor der Angst. Lasse sie da sein.

Warum habe ich Angst vor der Angst?

Die Furcht in mir sagt: Ich will, dass mich niemand verletzlich sieht. 

Ich habe gelernt, dass ich stark sein muss im Leben. Dass nur die starken Menschen gewinnen. Dass man mich nicht mag, wenn ich ängstlich bin, mich blöd anstelle.

Deswegen trage ich meistens eine Maske. Ich bin hart geworden, aber nur äußerlich. Ich schaue ernst wenn ich durch die Stadt laufe oder im Auto sitze. Die Leute sollen mich ernst nehmen, zur Not fürchten. Mit mir ist nicht zu spaßen. Genauso wenig Spaß habe ich auch und ich verpasse, wie gut es sich anfühlt, mit jemandem ein Lächeln auszutauschen.

 Ich verpasse die Gänsehaut, die ich bekomme, wenn ich mich verbunden fühle mit einem Wildfremden auf der Straße. Alles, was uns verbindet, ist unser Lächeln.  

Ich werde mich nie wieder schlecht fühlen – hoffe ich: Ich zwinge mich, durchzuhalten. In der Arbeit, beim Warten, in Unterhaltungen. Wenn ich mich nicht wohl fühle.

Ich zwinge mich, bis ich ganz weich im Kopf bin. Bis mir schwindelig ist und ich nicht mehr weiß, wie mir geschieht. Ich vergesse meinen Atem, ich japse nur noch nach Luft. Ich merke, dass mein Hals angespannt ist und meine Arme verkrampfen, und das unangenehme Gefühl ist der letzte verbleibende Weckruf.

Aber diese Empfindungen lenken nur davon ab, wie sehr ich mich ablehne. Eigentlich liebe ich mich ja, aber ich glaube, so einfach nicht gut genug für die anderen Menschen zu sein.

Bis ich vielleicht irgendwann nicht mehr kann – bis ich mich meiner Angst hingebe, bis ich die Maske nicht mehr halten kann.

 Bis ich mich nicht mehr verstellen kann. Und ich danke dem Leben heute, dass ich diesen Punkt schon mit Ende zwanzig erreicht hatte. 

Ich danke dem Leben, dass ich so schwach war, dass ich echte Stärke kennenlernen musste und durfte. Das größte Glück war, dieses Versteckspiel mit mir selbst zu stoppen, und Unbewusstes in mir bewusst zu machen.

Nicht mehr auf morgen zu hoffen, nicht mehr hoffen zu können, sondern zu brennen vor Enttäuschung und Ratlosigkeit und Anspannung und getrieben von diesem Schmerz mich in ein gutes Leben zu retten. 

Jeden Tag startet dieser Prozess von Neuem. Es ist wie eine zweite Geburt.

Mit Fürsorge und Achtsamkeit für mich, und mit der Frage: Stimmt das, was ich da denke? Über mich? Über dich? Wer bin ich vor diesen Gedanken? Wer bin ich wirklich? Was will ich wirklich? Warum tu ich, was ich tu? Was treibt mich an? Wer wär ich, wenn ich ich wär? Wenn ich mich nicht verstellen würde? Wenn ich mich nicht zwingen würde, jemand Bestimmtes zu sein?

Wenn ich mich lieben würde?

Wer wär ich dann?

Fotos: Pixabay

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