„Ich darf nicht schwul sein“ – Wenn Kinder sich verbieten und verbiegen

Es gibt Dinge, von denen denke ich, niemand darf sie wissen. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass mein kleiner Bruder und ich als Kinder Doktorspiele gemacht haben. Eigentlich waren es keine Doktorspiele, sondern viel mehr „Petting“. Einmal hatte ich dabei sogar einen Orgasmus. Wir entdeckten unsere Sexualität zusammen, und während ich heute nichts mehr liebe als Frauen, ist mein Bruder bei den Herren geblieben. Warum habe ich mich Jahrzehnte dafür geschämt?

„Weil man das nicht macht.“

“Weil es unnormal ist“

„Weil alle etwas Schlechtes von mir denken werden“

„Weil dann niemand mehr etwas mit mir zu tun haben will“

Und das Schlimmste war für mich: Ich schämte mich schon als Kind dafür. „Ich will nicht schwul sein!“ „Ich bin nicht schwul“. In meinem Selbsthass verletzte ich mich einmal sogar selbst nach so einer Begegnung mit meinem Bruder und schrieb diesen Satz weinend mit meinem Blut auf ein Stück Papier.

Wie gerne würde ich selbst heute zurück in diese Zeit und wäre für mich selbst da. Würde den kleinen Kerl fragen: „Bist du dir ganz sicher, dass du nicht schwul sein darfst? Was wäre daran so schlimm?“

Ich war immer davon überzeugt, dass mit mir etwas nicht richtig war. Schon als Kind. Vielleicht hat mir das Leben diese Erfahrung und diese Erinnerungen geschenkt, um mich immer wieder daran zu erinnern:

Du bist vielleicht nicht so, wie es andere von dir erwarten. Du bist vielleicht nicht so, wie du dir vorstellst, dass du sein solltest. Weil dir irgendwer mal erzählt hat, wie du sein solltest. Aber du bist ein toller kleiner Kerl. Du hat so viel Liebe in dir, du willst niemandem wirklich etwas Böses.

Und niemand kann dir sagen, wie du sein solltest. Nicht mal du selbst kannst dir das sagen, denn du bist ja schon längst du selbst. Du bist, wie du bist, ob du willst, oder nicht. Und was du über dich denkst, macht daraus etwas Gutes oder auch Schlechtes.

Du bist hier, um zu entdecken, wer du bist. Frag dich einfach jeden Tag aufs Neue und schau dir zu, wer du bist und was dich glücklich macht. Das, was dir Spaß macht und was dir ein gutes Gefühl gibt, das ist dein Weg.

Das würde ich mir gern selbst sagen, als kleiner Junge, der denkt, mit ihm stimmt etwas nicht. Der denkt, er sei pervers.

Und mein Bruder? Ist heute einer der liebsten, besten Menschen, die ich kenne. Besser, als ich je sein werde. Immer wenn wir uns sehen und unterhalten, lerne ich etwas. Ich Klugscheißer, ich Wichtigtuer, ich gestresster und ach so erfahrener Unternehmer-Guru. Jeder kann sich so einen Bruder nur wünschen, der nachts wachliegt, weil er nicht an sich sondern an seine Familie denkt. Als Kinder waren wir mehr als Brüder. Wir hatten eine Affäre. Und ich schäme mich überhaupt nicht dafür.

Ich liebe dich.

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