Wie finde ich meine Berufung? Deine Stärke ist das, was du liebst

In den Krisenzeiten meines Lebens suche ich fieberhaft nach dem Sinn. Ich versuche mich daran zu erinnern, was ich will. Ist es eine bestimmte Tätigkeit? Ist es eine Aufgabe? Will ich etwas an der Welt verändern, verbessern? Was will ich eigentlich? Ich habe verlernt, wie ein Kind dem zu folgen, was mir mein Gefühl sagt.

  • Mein Gefühl als Kind hat mir gesagt, dass ich nicht in den Schwimmunterricht mit diesem blöden Lehrer gehen will, weil er nicht nett ist. Weil ich mich bei ihm nicht wohl fühle. Weil ich ihm nicht vertraue.
  • Mein Gefühl als Kind hat mir gesagt, dass ich in der Schule nicht still sitzen will, sondern dass ich mich bewegen muss, dass meine Energie irgendwo hin muss.
  • Mein Gefühl als Jugendlicher hat mir gesagt, dass ich schreiben will, dass ich die Wahrheit für meine Leser rausfinden und rüberbringen möchte.

Als Jugendlicher habe ich kein Wort aus Pflichtgefühl geschrieben – außer in der Schule. Ich wollte unbedingt schreiben, ich konnte gar nicht anders. Ich musste es lernen, meine Gedanken sortieren, meine Stimme finden. Ich verstand etwas von Kommunikation und hatte den Drang, damit etwas anzustellen.

Heute zwinge ich mich oft zu den Aufgaben. Ich denke, ich muss es tun. Ich bringe Sachen hinter mich, auch wenn sie mir Spaß machen will ich sie vor allem fertig machen. Damit ich das Gefühl habe, etwas weniger tun zu müssen. Und dadurch verliere ich am Ende die Freude daran. Ich sitze wieder an meinem Schreibtisch in meinem Kinderzimmer und sehe einen kaum überblickbaren Berg von Aufgaben vor mir. Damals waren es Hausaufgaben, heute Mails, To-Dos und Texte von Teilnehmern meines Schreibkurses. Wo soll ich nur anfangen?

Nie Feierabend – nie Pause vom Denken

Jede abgearbeitete Aufgabe ist eine gute Sache. Anders als zur Schulzeit, packe ich es an. Zwischendurch habe ich sogar Spaß daran. Aber ich mache keine Pause. Ich wühle mich durch meine Mails, meine To-Dos, meine handschriftlichen Notizen, den Blick auf die Uhr und auf meinen Kalender gerichtet. Nicht, weil ich den Feierabend herbeisehne – ich habe nämlich nie das Gefühl von Feierabend. Sondern weil ich zu wenig Zeit habe. Zu wenig Zeit, zu viel zu tun, und alles muss erledigt werden.

Ich blicke auf den nahenden Abend und sage mir, dass ich eigentlich gar nicht schlafen will. Schlafen, was schaffe ich denn da schon? Ich will, ich muss für immer arbeiten, etwas tun. Sogar meinen Urlaub verbringe ich mit Hektik in der Werkstatt, damit ich meine Projekte fertig bringe, anstatt den Prozess, das Schaffen zu genießen. Eines nach dem anderen und alles glechzeitig, schnell, schnell, schnell!

So mache ich mir das Paradies regelmäßig zur Hölle

Und ich finde mich um zwei Uhr morgens wieder, kann nicht einschlafen. Kann nicht aufhören zu denken, zu arbeiten, da oben, wo angeblich mein Gehirn ist. Ein großes Hamsterrad, danach fühlt sich der Inhalt meines Kopfes viel mehr an.

Arbeiten: Pause vom Glücklichsein?

Und die Freude entweicht mir, sie ist nicht mehr da, verdeckt vom Tun-Müssen.

Ich lebe dafür, Punkte auf meiner Liste aubzuhaken.

Früher habe ich für die Punkte auf meiner Liste gelebt und habe sie geliebt.

Heute Morgen habe ich, noch vor dem Zähneputze, im Schlafanzug einer jungen Frau geschrieben, die einen verzweifelten Kommentar unter einem meiner Artikel hinterlassen hatte. „Was macht dir Freude und was kannst du besonders gut?“ habe ich Sie gefragt. Und später bemerke ich, bei einem Anfall von Ruhe: Genauso wichtig ist die Frage „Was kannst Du mit Liebe tun?“ und der Hinweis: „Tu nichts mehr, was du nicht lieben kannst. Warte und mach es erst, wenn du es aus Liebe tun kannst.“

Denn wofür sonst das Ganze? Wofür aufstehen, weitermachen, mich anstrengen, wenn es am Ende heißt: So, das war’s nun mit deinem Leben. Hat’s dir gefallen?

Was du mit Liebe tust, bringt auch anderen etwas

Ich vergifte das Internet mit meinen Texten, wenn ich sie nur mit Blick auf mögliche Buchverkäufe schreibe, bloß, weil ich es muss, brauche, Geld, Geld, Geld.

Ich bringe mich und andere weiter, wenn ich meine edelsten Gedanken zu Papier bringe, sie strukturiere und aus dem ganzen Leid etwas Positives stricke.

Ich weiß, aber vergesse regelmäßig: Das Geld, der Lebensunterhalt kommt von allein. Ich war immer am erfolgreichsten, wenn ich geglüht habe vor Lust und Enthusiasmus. Daraus entstanden immerhin zwei Unternehmen, von denen ich und Freunde und tausende Menschen heute profitieren. Ja, es gibt dort Aufgaben, die ich nicht mehr tun will, weil ich sie lang genug gemacht habe. Dafür sind jetzt andere da. Und auch das liebe ich.

Ich liebe es, Dinge mit einem Gefühl von Ruhe zu tun. Es ist mein sehnlicher Wunsch, in Ruhe Dinge zu tun, die ich liebe. Kreativ. Oder auch mal nicht kreativ. Von mir aus die Steuererklärung, die ich hasse, wenn ich sie eilig mit Pflichtgefühl erledige. Wenn ich sie aber mit Ruhe mache, ist die Zettelarbeit manchmal wie eine Meditation für mich. Leider vergesse ich diese Erkenntnis, kurz nachdem ich das Ganze meinem Steuerberater geschickt habe. Mein Magen zieht sich zusammen, wenn ich zwei Monate später wieder vor der Aufgabe stehe.

Wie finde ich etwas, das mir Freude macht? Etwas, das ich liebe?

Ich finde eine Aufgabe, die mir Freude macht, indem ich jetzt Freude empfinde. Indem ich einen schönen Aspekt in meine Arbeit bringe, in meine Aufgabe hier und jetzt. Indem ich erkenne, dass jede Arbeit etwas hat, das mir Kraft geben kann. Das ist der erste Schritt.

Der zweite Schritt ist, dranzubleiben und die Gedanken über meine Verpflichtungen zu hinterfragen. Die Gedanken, die mir Stress und Kummer bereiten. Sie machen mich depressiv, nicht mein Job tut das. Und wenn ich nicht mehr glaube, ich muss dies, ich hasse das, mein Chef, meine Kunden sind furchtbar, dann ändert sich die Arbeit. Auf die eine oder andere Weise ändert sie sich. Und mir kommen Ideen, Inspiration für das, was ich wirklich will. Nicht beim angestrengt nachdenken, sondern in der Dusche, beim Abwaschen, beim Spazierengehen. Und plötzlich sehe ich mir selbst dabei zu, wie ich etwas ganz Neues anfange oder Dinge anders anpacke.

Dann kann meine Arbeit zur Aufgabe werden, die mir etwas gibt. Zur Berufung. Sie gibt mir Kraft, anstatt Kraft zu kosten.

Übungen: Meinen Weg zur Berufung finden
  • Frage dich, was du liebst: Was liebst du wirklich, was gibt dir Kraft, wann fühlst du dich lebendig und voller Energie?
  • Frage dich auch, was an deinen Aufgaben dir Spaß macht oder dir Kraft oder innere Ruhe gibt. Du findest etwas, wenn du lang genug nachschaust und meditativ in dich hineinhörst.
  • Probiere viel aus, nur so merkst du, was dir Freude bereitet
  • Viele Aufgaben, bei denen ich mich schlecht fühle, sind gar nicht so schlimm, wenn ich mit einer anderen Haltung, einer anderen Einstellung drangehe. Das heißt nicht, dass ich diese Aufgaben gerne mein restliches Leben machen möchte. Es geht um den Moment. Jetzt.
  • Es ist immer jetzt. Auch morgen oder in einem Jahr. Im Jetzt entsteht das, was du als Nächstes tust. Wenn du den Moment mit etwas mehr Freude, nur ein bisschen mehr Ruhe füllst, ist das eine gute Voraussetzung für ein erfüllteres, schöneres Jetzt an jedem restlichen Tag deines Lebens.

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Bild von Moreno Boeron auf Pixabay

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